Trend erzeugt Gegentrend

Jeder stationäre Händler, der sich derzeit fit für die Zukunft macht, um nicht den Tod der Innenstädte zu sterben, versucht vom Online-Handel zu lernen und dessen Strukturen oder Flexibilität zu kopieren. Aber zu jedem Trend, gibt es natürlich einen Gegentrend. Hier entsteht die reinste Trendsportart. Wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern gehört, entscheiden Käufer, Leser, Konsumenten.

Ist es der digitale Schuhladen, der ohne ein einziges reales Produkt auskommt, da dieses nach der virtuellen Anprobe per Bote nach Hause geliefert wird und dessen Datenbank dank der kundenindividuellen Erfassung für das Einkaufserlebnis einen intimen Einblick in das Leben seiner Kunden besitzt? Oder ist es vielleicht der Gemüseladen, in dem es weder Plastiktüten, noch eine – scheinbar unendliche – Produktverfügbarkeit gibt, da hier das vordergründig qualitative „Wenn alle, dann alle“-Prinzip gefahren wird, und in dem – auch das muss laut kommuniziert werden – KEINE KUNDENRABATTKARTE erhältlich ist?

Kommunikation als Trendsportart

Trends ausmachen, verstehen und dann bewusst und offensiv genau das Gegenteil machen, kann durchaus eine Erfolg versprechende Strategie sein. Zum Beispiel bietet das aggressiv an den Tag gelegte Verlassen der kommunikativen Filterblase der „If you love this, you will love that“-Kommunikation von Amazon und Co. die Chance für Konsumenten, endlich auch einmal etwas wirklich Neues kennen zu lernen. Natürlich kann man auch mit dem Konsum der immer gleichen Musik, dem Lesen der immer den gleichen Genres von Büchern, dem „Genuss“ sich stetig wiederholender Nahrung und dem Tragen der einen, immer gleichen Modemarke sein Leben bestreiten. Aber natürlich ist das auch die pure Langeweile. Eine kundenbindende Marken-Langeweile.     

Potenzial und Kunden gibt es für beide Lager, auch in den jeweils extremen Ausprägungen. Was bei beiden zählt, ist die glaubhafte Kommunikation des jeweiligen emotionalen Überbaus an die richtige, für genau diese Botschaft empfängliche Zielgruppe. Dazu gehört auch Augenwischerei oder sagen wir lieber, die kreative Ausgestaltung des offensichtlich Erfassbaren.

Denn auch der vordergründig technikfreie Naturkostladen arbeitet hinter den Kulissen mit modernsten Warenwirtschaftssystemen, genau so, wie der High-End-Flagship-Store in bester Lage am Ende seine Produkte mit der zweifelhaften und nicht gerade modernen „Studierter Tagelöhner fährt einen Dieselbully“-Methode ausliefert.

Man könnte also sagen, dass beide Zielgruppenbediener sich einer in ihrer Meinung gefestigten Kundschaft sicher sein können. Aber was ist mit den vielen Unentschlossenen, den Ausprobierern, den Abenteurer und Neugierigen, den Überzeugbaren und Abwechslungsliebhabern? Langeweile durch verlässliches Liefern des Immergleichen steht bei keinem Online- oder Offlineanbieter auf der Liste der zu überdenkenden Problematiken. Was auf Facebook und Co. schon seit einiger Zeit in der öffentlichen Kritik steht und als Echokammer oder Filterblase des öffentlichen Diskurses kritisiert wird, scheint in Sachen Konsum, materiell wie kulturell, einfach so akzeptiert zu werden. Ist ja auch logisch, nichts ist schöner, als durchschaubare Kunden mit einem erwartbaren Konsumverhalten. Nur gibt es halt auch Kunden, für die ist genau das schlicht Mist.

Kunde A kauft schon seit Jahren seine immer gleichen weißen Poloshirts mit immer gleichem Logo der immer gleichen Marke im immer gleichen Laden, daher werden ihm auch vielleicht entweder die exakt gleichen Poloshirts in blau gefallen, oder aber – ganz wild – er versucht mal das gleiche Produkt (Poloshirt, irre spannend) mit einem anderen Logo. Danke Amazon.

Kein Inhalt ist auch ein Inhalt

Ich will endlich eine Einkaufskultur, die mich wieder überrascht. Ich möchte Empfehlungen nicht aufgrund meines eigenen Geschmacks haben, denn da komme ich ganz gut alleine klar. Ich will als Konsument nicht für so simpel gehalten werden, dass ich Dinge, die sich außerhalb meines Horizonts befinden, kategorisch als zu anstrengend, zu herausfordernd, zu kompliziert erachte und generell erst einmal ablehne. Stringente Markenbotschaften sind toll. Durchdacht, abgestimmt und gewiss erfolgreich im Rahmen der Zielgruppe. Gestylt, designt und totgestyleguided.

Es wird aber längst mal Zeit für eine echte Gegenbewegung, für eine Kommunikation, deren Inhalt eine gewisse Inhaltsleere in Sachen Stringenz sein könnte. Vielfalt statt Inzucht. Echte Auswahl anstelle von Minimal-Varianz. Alle Firmen möchten heutzutage eine billige Kopie der inzwischen echt anödenden Apple-Ästhetik darstellen, Reduktion statt wirklicher Inszenierung. Das ist schön, wenn man ein designiges Produkt hat. Verkauft man allerdings Schweinehälften kann das Ganze eventuell nach hinten losgehen.

Gerade wenn Reduktion angesagt ist, muss die Opulenz dagegen halten. Gegen 3 Wort-Headlines helfen Verkettungen von Gedanken, die Ödnis zu überwinden.