Es gelingt mir nur sehr selten, selbst im schlimmsten aller schlimmen Fälle, meinen eigenen Humor, meine Ironie und den Wunsch nach einer Pointe zu unterdrücken. Wenn ich ehrlich bin gelingt es mir im Grunde genommen gar nicht. In einem spontan impulsiven Moment der Ehrlichkeit, die ich mir auferlegt habe zu leben, gewinnt der Witz die Überhand. Im nächsten Moment schäme ich mich. Dann, vielleicht nur Sekunden nach meinem gefühlten Sündenfall, weiß ich, es war in Ordnung und mache meinen schnellen Frieden mit mir und meinem schalkhaften Ich. In vielen, zumeist den extremen Fällen, ist es sogar der eine pointierende Satz, der die verkrampfte, zutiefst traurige Situation für ein paar Sekunden aufzulockern vermag, ein paar Lächeln auf ein paar zuvor betrübte, verweinte Gesichter zaubert.
Auch wenn es noch nicht lange, gar nicht lange her ist, so weiß ich bereits heute ganz sicher, werde ich niemals in meinem Leben den Moment vergessen, in dem ich mich neben meiner Mutter am Totenbett meines Vaters sitzend wiederfand, der in der gerade vergangenen Nacht, nur ein paar Stunden zuvor gestorben war, und auf Bitten meiner fürsorglichen Mutter versuchte das Brot zu essen, welches sie ihm an diesem Morgen noch im Glauben, er würde nur schlafen, zubereitet hatte. Am Boden zerstört und mit Augen voller Tränen der Liebe und des Verlustes, schauten wir ihn an und mir entfuhr plötzlich: „Jetzt isst sein Sohn ihm sogar noch sein letztes Brot weg.“ Reflexartig schaute ich zu meiner Mutter und befürchtete sie in ihrer Trauer verletzt zu haben. Ich sah jedoch zu meiner Erleichterung in ein Gesicht, welches sich zwar nicht gestatten wollte, zu lächeln, aber einem Impuls folgend die Mundwinkel für einen winzigen, aber ehrlichen und auf eine seltsame Art erleichterten Moment nach oben zog. Vielleicht hat sie es selber nicht einmal wirklich bemerkt, aber ich bin sicher, dass es ihr für einen Moment die Last genommen hat. Und ich bin sicher, dass mein Vater, hätte er davon auch nur irgendetwas mitbekommen können, in diesem Moment gelacht hätte. Und dafür liebe ich ihn.
Ich rede hier nicht von Galgenhumor oder dem zwanghaften Drang eines tumben Geistes zum Witzigsein. Ich rede von einer Art der Ernsthaftigkeit, die sich Ausdruck und Freiraum verschafft, in kleinen Oasen der Ruhe, in einer Art Feuerpause der erdrückenden Bedeutung, nur um gerade diese im Umkehrschluss zu ehren. Ich rede vom Humor der einen oft melancholischen Unterbau erfordert, der sich vielleicht gerade dann Bahn bricht, wenn andere Gedanken schweigen. Es geht hier weder darum, jemanden vorzuführen, noch die Ernsthaftigkeit einer Situation zu untergraben. Es hat nichts mit dem Holzhammer der Gefühllosigkeit zu tun und schon gar nicht wird hier die – ganz zu Unrecht so schlecht angesehene – Zote bedient.
Es geht einfach auch ein wenig darum, sich selbst zu retten. Vor den dunklen Gedanken und den sich selbst nährenden Zweifeln, die einem das Herz mit jeder Drehung in der Abwärtsbewegung um sich selber schwerer werden lassen. Es ist vielleicht der letzte Anker des nicht gläubigen Menschen, bevor einen der Strudel der Endlichkeit der alles erstickenden Gleichgültigkeit anheim fallen lässt. Denn obschon ich mir persönlich absolut sicher bin, dass mit dem physischen Tod alles endet, ist mir der Gedanke ein Trost, dass ich sogar im Angesicht meines größten Schreckens mich selbst und das Angedenken an den so geliebten Menschen, meinen Vater, niemals werde verlieren können.
Vielleicht würde ich auch nicht so denken, wenn mein Vater in dieser Hinsicht, wenngleich weniger offensiv als ich, grundlegend anders denkend gewesen wäre. Aber ich weiß, dass er es selber so gesehen hätte, gesehen hat, wie ich es empfand und immer noch empfinde.
Die Trauer nimmt einem nichts und niemand, kein Witz und kein Trost. Aber die Nähe zu einem Menschen, der das Leben mit Humor genommen hat, wenngleich es nicht immer einfach, sonnendurchflutet und heiter war, wird umso größer, wenn man es zulässt, sich an genau die Momente zu erinnern, in denen man gemeinsam die Sorgen weggelacht hat. Und man möge es mir glauben oder nicht, die Sorgen verlieren einen Teil ihres Schreckens.
Sogar der Tod.
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Nachtrag am 26.1.2015:
„Doch tief in unserem Herzen tragen wir: ich bin immer bei Dir.“
Danke für die richtige Worte an MARATHONMANN „Abschied“
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